»Wertschätzende Beziehungen sind Basis für unser Wachstum«

Herzlich willkommen in der Ashoka Fellowship, Jörg Knüfken von ChangeWriters e.V.! Mit dem Team des Vereins begleitet er Lehrer:innen, Schulleiter:innen und pädagogisches Personal dabei eine neue Haltung einzunehmen, durch die Klassenzimmer zu unterstützenden und vertrauensvollen Umgebungen werden – Räume, in denen jede:r Schüler:in wachsen und lernen kann. Was Jörg aus seiner Zeit als Schulsozialarbeiter mitbringt, wie klassische Erziehung überflüssig werden kann und welche Tipps er uns für echte menschliche Begegnungen mitgibt – darüber haben wir mit ihm gesprochen.

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An was für einer Gesellschaft arbeitest Du, Jörg, und warum?

Ich arbeite an einer Gesellschaft, die ein wertschätzendes Miteinander lebt. Es mag banal klingen, aber wir brauchen gar nicht weit zu blicken, um zu merken, dass wir davon heute oft weit entfernt sind. Und ich arbeite daran, weil ich glaube, dass es eine höhere Wertigkeit gibt, nach der es sich zu streben lohnt. Menschen können miteinander gut wachsen – ohneeinander nicht.

Auf diesem Weg ist zentral, dass ich mich und wir uns für das einsetzen, was wir wertschätzende Beziehungsgestaltung nennen. Das bedeutet, dass ich mein Gegenüber sehe, es (ihn bzw. sie) wahr und ernst nehme sowie Respekt spiegele. All das ist Grundlage dafür, dass Resonanz entstehen kann. Und Resonanzräume zu haben heißt, dass Menschen wachsen können.

 

Welchen Weg bist Du dafür eingeschlagen, wie machst Du das?

Mein Weg war immer und ist es auch jetzt ganz praktisch zu schauen, wo ich eigene Erfahrung einbringen kann. Das ist in meinem Fall der Lebensraum Schule. Dieser steht aus meiner Sicht stellvertretend für unsere Gesellschaft, weil da alle Teile der Gesellschaft durchgehen. Mein Weg ist es, genau hier eine wertschätzende Beziehungskultur zu schaffen, die als gewinnbringend erlebt wird und dann nach der Schule in die Gesellschaft getragen wird. Im günstigsten Fall kann eine positive Beziehungsarbeit dafür sorgen, dass die klassische Erziehung als solche überflüssig wird.

Es gibt viele Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven das System Schule verändern, aktualisieren, weiterentwickeln möchten – das finde ich gut und richtig so. Mein Weg ist es, hier von innen nach außen zu wirken und mit „innen“ meine ich ganz konkret das Klassenzimmer. Es ist faszinierend zu sehen, was wir in der Praxis beobachten dürfen: Wenn wir Lehrende und Schüler:innen auf diesem Weg begleiten und diese Begleitung als Stärkung empfunden wird, dann verändert sich die ganze Dynamik aus dem Klassenzimmer heraus. Und das hat eine fast magnetische Wirkung, weil Menschen sich (wieder) als selbstwirksam erfahren.

Wie ist Dein eigener Weg als Changemaker losgegangen – seit wann bis Du als aktive:r Gestalter:in von Gesellschaft unterwegs?

Wenn ich darüber nachdenke, dann habe ich mich schon immer von Gemeinschaft angezogen gefühlt und auch schon immer Gemeinschaft mitgestalten wollen – ob als 12Jähriger in der ehrenamtlichen Kinder- und Jugendarbeit, später in Projekten und eigenen Unternehmungen oder in meinen dreizehn Jahren als Schulsozialarbeiter. Früher hätte ich nicht sagen können, dass mein Motiv ist, Gesellschaft zu verändern oder zu gestalten. Aber mich hat schon immer bewegt, was Menschen zusammenführt. Ich habe viel daraus gezogen, Räume anbieten und gestalten zu können, in denen etwas entstehen kann, in denen man gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten kann oder in denen es einfach knistert. Etwas anzupacken und zu sehen, wie es Gestalt annimmt, stärkt mein eigenes Gefühl von Selbstwirksamkeit sehr.

Ashokas Vision heißt ja „Everyone a changemaker“: Wenn ich Deine Ziele unterstützen wollte, wie könnte ich das tun?

So viele Menschen haben mit dem Umfeld Schule zu tun. So ist der einfachste Weg, auf uns hinzuweisen. Uns kennen zu lernen, die Sinnhaftigkeit unseres Ansatzes zu verstehen und für uns, mit uns zu kommunizieren – das sind schon wichtige Schritte. Vielen ist bewusst, dass das, was in Schule allgemein gemacht wird – Noten geben, Arbeiten schreiben – nur ein Teil dessen sein kann, worum es in Schule gehen kann und sollte. Wir müssen das als Gesellschaft in Relation setzen zu den anderen Aufgaben, die Schule hat: z.B. Wege aufzuweisen und Beziehungen zu gestalten.

Und dann sind wir ein Verein, der Fördermitglieder hat, das ist natürlich auch ein Weg unsere Mission zu unterstützen. Oder man sagt: Das überzeugt mich so, da werde ich Teil davon – z.B. indem man unsere TrainerInnenausbildung mitmacht und die Methode aktiv weiterträgt.

Und noch etwas fällt mir ein, das jede:r tun kann – und sollte: Oft schaffen wir es nicht, im Alltag unser Gegenüber als Mensch zu sehen in all den eigenen Facetten. Schnelle Eindrücke, das Abweichen von Konventionen oder ein verkürzter Blick auf die Funktion eines Menschen führen dazu, dass wir echter Begegnung im Weg stehen. Ein Beispiel: Den Jugendlichen, der in der Schule immer zu spät kommt und manchmal gar nicht, den sehen wir schnell als Problem. Aber sähen wir ihn als ganzen Menschen, wüssten wir vielleicht, dass er jeden Morgen zu Hause seine Geschwister versorgt und zum Kindergarten bringt – und dass er, ganzheitlich betrachtet, ein Ausmaß an Fürsorge und Verantwortung mitbringt, von dem viele von uns nur lernen können. Für diesen Blick möchte ich werben, für echtes menschliches Interesse aneinander als Basis für eine wertschätzende Beziehungskultur. Diese kann jede:r kultivieren.

Welcher ist ein guter Tipp, den Du auf Deinem Weg als Changemaker mal erhalten hast und weitergeben kannst?

Das ist eine schöne Frage und ich schätze mich glücklich sagen zu können: Ich habe schon unendlich viele sehr wertvolle Tipps erhalten. Ein Tipp oder vielmehr Grundsatz, den wir bei ChangeWriters wirklich leben, stammt von den Freedom Writers: Wo Vielfalt zusammen kommt ist Schönheit unvermeidbar. Das bedeutet, unterschiedliche Blickwinkel wert zu schätzen und als bereichernd wahrzunehmen. Das bedeutet offen in Begegnungen hinein zu gehen mit der Haltung: Mein Gegenüber könnte vielleicht Recht haben. Und es bedeutet Vielfalt als Ressource zu verstehen und Diversität ernst zu nehmen. Diese Vielfalt von Meinungen und Haltungen wird vielleicht manchmal als herausfordernd wahrgenommen, aber genau dadurch entsteht Wachstum.

Ashoka sucht, fördert und begleitet Menschen, die mit neuen Ansätzen („system-changing new ideas“) beitragen, gesellschaftliche Herausforderungen zu überwinden – und dadurch helfen eine chancengerechte und nachhaltige Welt zu gestalten. Menschen, die sich durch ihren unternehmerischen Geist, Kreativität und Integrität auszeichnen. Wen kennt ihr, die:der von der Ashoka Fellowship profitieren könnte? Schlagt uns Kandidat:innen vor, wir freuen uns von euch zu hören! Hier geht’s zur Nominierung. Für Rückfragen steht euch Clara Bräuer im Team gern zur Verfügung.