Wie viele Nachrichten braucht es, um gut orientiert zu sein?

Als Reporter in Krisengebieten sammelte Michael Gleich viele Erfahrungen über engagierte Menschen. Deshalb engagiert er sich heute dafür, dass Massenmedien auch über mögliche Konfliktlösungen berichten. Gleich gehört zu den Protagonisten des konstruktiven Journalismus in Deutschland. Was meint er zur aktuellen Krise?
Michael Gleich
Quelle: Michael Gleich

„Massensterben von Unternehmen“, „So schmerzhaft kann sich Corona anfühlen“, „Leichenhallen überfüllt“– die Informationen zum Thema Covid-19 sind meist negativ. Bräuchte der Mensch in Zeiten wie diesen nicht auch, oder: vor allem, konstruktive Nachrichten? Was passiert, wenn wir permanent mit Negativem konfrontiert werden?

Wir brauchen, wie zu jeder Zeit, an jedem Ort, in jeder Kultur, beide Aspekte: Sorgfältig recherchierte Berichte über bestehende und drohende Gefahren, über Missstände und Probleme und wir brauchen Berichte über mögliche Lösungen, Auswege, Perspektiven. Das Bombardement mit einseitig negativen Nachrichten hat gravierende Folgen: hirnphysiologisch, psychologisch, gesellschaftspolitisch. Was soll ich mich engagieren?, wird sich manche*r fragen, bringt ja eh nichts, die Probleme werden immer viel größer sein als die Gegenmaßnahmen. Deshalb habe ich vor 15 Jahren das Konzept des „konstruktiven“ Journalismus in Deutschland bekannt gemacht und seitdem praktiziert, gelehrt und weiterentwickelt. Zum Glück haben viele Redaktionen mittlerweile verstanden, dass es ihre Pflicht ist, das ganze Bild der Wirklichkeit zu zeichnen und nicht nur die düsteren, Angst machenden Aspekte, um Auflagen und Quoten zu schinden.

Habt ihr Tipps für einen guten Umgang mit Medien in der jetzigen Situation?

Für den Konsum von Medien gilt, was auch für gesunde Ernährung gilt: Qualität statt geistigem Junkfood, Mischkost (mehrere unabhängige Medien) und maßvolle Mahlzeiten. Gerade jetzt, wo die Medien die Sensations- und Grusellust der Menschen mit einer Corona-Eilmeldung nach der anderen bedienen, gilt aus meiner Sicht: Immer wieder zurücktreten, sich besinnen und überlegen, wie viele Nachrichten ich wirklich brauche, um gut orientiert zu sein.

Alle reden von Solidarität – Social Entrepreneurs wie du leben Gemeinsinn und Zusammenhalt schon seit Jahren, teils Jahrzehnten. Wie empfindest du den derzeitigen Stimmungswandel? Und was erhoffst du dir davon?

Im Drei-Zonen-Modell ­– Komfort-, Lern- und Gefahrenzone – gilt für Lernen: in der Komfortzone wird eher wenig gerlernt, in der Angst- und Gefahrenzone ist es gar nicht möglich. Meine Hoffnung ist, dass wir, durch die Pandemie aus der Komfortzone geschubst, nicht in Panik verharren, sondern lernen. Als allverbundene Menschheit. Es sollte eine neue Balance zwischen Vernetzung/Verkettung und Abgrenzung entstehen. Die Wirtschaftssysteme, einseitig auf Wachstum getrimmt, brauchen eingebaute Mechanismen der Begrenzung (Corona ist eine Begrenzung von außen), um das Klima und die Umwelt zu schonen und um menschenwürdiges, sinnstiftendes Arbeiten zu ermöglichen. Das ist meine Hoffnung, und ich halte Schritte in diese Richtung für möglich. Es kann aber auch sein, dass man kollektiv nach dem Schock möglichst schnell zu business as usual zurückkehren will.